Ein Jahr, nachdem ich meinen Roman »Die Aufseherin« geschrieben habe, hatte ich nun erstmalig Gelegenheit, den Handlungsort des 1. Teils persönlich in Augenschein zu nehmen.
Hier, in der ehemaligen Landesirrenanstalt auf dem Domjüch, nahe Neustrelitz, hat meine Lotte einige Jahre als Pflegerin gearbeitet, bevor sie als Aufseherin nach Ravensbrück, Majdanek und Auschwitz gekommen ist.
Wie lebte es sich nun an diesem, mit Geschichte und Geschichten angereichertem Ort? Die reale Lotte, damals noch Charlotte Mayer, war vielleicht ähnlich ergriffen gewesen wie ich, als ich das Gelände vor einigen Tagen zum ersten Mal betrat. In meinem Roman schreibe ich: »Die Oberschwester führte sie auf dem Gelände herum, um ihr alles zu zeigen. Die Gebäude waren am Ufer des Domjüchsees angeordnet; es gab je zwei Häuser für Männer und Frauen. Außerdem befand sich in der Mitte der Anlage ein Verwaltungsgebäude, das Wirtschaftshaus mit Wasch- und Kochküche, das Maschinenhaus mit einem hohen Wasserturm sowie das Kesselhaus mit dem Schornstein und weitere landwirtschaftliche Gebäude. Besonders stolz war man auf das moderne Lüftungssystem, das alle Patientenzimmer mit Frischluft versorgte. Die Fenster mussten ja aus Sicherheitsgründen verschlossen bleiben.«
Das ist das ehemalige Verwaltungsgebäude.
An diesem herrlichen Sommertag bot sich der See mit den am Hang liegenden Gebäuden unter alten Bäumen malerisch den Blicken dar. Moderne Skulpturen lockerten die Rasenflächen dazwischen auf, an manchen Fassaden prangten bunte Graffitis, die vor einigen Jahren internationale Künstler hinterlassen hatten.
Dieses Bett stand auf einer Wiese unter Bäumen mit Blickachse zum Domjüchsee. Und sofort kam die Beklemmung.
Denn obwohl die Anstalt, 1902 gegründet, anfangs durch sehr fortschrittliche Behandlungsmethoden psychisch Kranker von sich reden machte, begann mit dem »Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses«, das 1934 in Kraft trat, eine neue Phase in der Behandlung dieser Personengruppe. Zwangssterilisationen, Hungernahrung und schließlich die Vernichtung in den sechs Anstalten des Reiches.
Auch aus Domjüch wurden vor fast genau 80 Jahren 120 Patienten in die Vernichtungsanstalt nach Bernburg transportiert. Eine Tafel erinnert an diesen Tag.
Wie sich die Nationalsozialisten damals den perfekten rassereinen Deutschen vorgestellt hatten, ist auf diesem Blatt zu lesen, was ebenfalls auf dem Gelände aushängt.
Das ehemalige Heizhaus zählt heute zu den beliebten Fotoobjekten der Lost-Places-Besucher.
Hier könnte man denken, Banksy sei habe sich an der Tür verewigt.
Es war ein sehr berührender Rundgang, auf den mich Reinhard Simon, aktives Mitglied des Vereins zum Erhalt der Domjüch, mitgenommen hat. In den letzten Jahren hat der Verein Großes geleistet, um diesen Ort des Gedenkens interessierten Bürgern zugänglich zu machen. Es war mir eine Ehre, am 11. August 2021 dort vor interessiertem Publikum aus meinem Roman »Die Aufseherin« lesen zu dürfen.
Wer mehr über den Ort wissen will, kann sich auch nachfolgende Dokumentation des NDR anschauen: Film